8 Sinnes-Momente am 08.09.2023
Meine Atem- und Blog-Kollegin Susanne Wagner lädt am 8. eines Monats jeweils zu einer Sinnesreise ein. Beim 8SAMMELN kann jeder mitmachen. Es geht darum, jeweils am 8. des Monats 8 Momente mit achtsamer Wahrnehmung zu sammeln. Beobachte diese Momente zuerst wertfrei mit deinen Sinnen. Lass dann die Sinneswahrnehmung bewusst bei dir ankommen und formuliere ihre Qualität.
Bewerte erst jetzt deine Erfahrung. Ist sie angenehm, unangenehm, lustig, traurig, doof... Dokumentiere deine ausgewählten acht Momente des Tages auf deinem Blog, in deinem Tagebuch oder auf deinem Social Media Account. Wenn du magst, teile deine Erfahrungen im Kommentar von Susanne's aktuellem 8SAMMELN-Blogartikel.
Hier findest du die detaillierte Anleitung.
Ich mache heute zum 1. Mal mit und bin neugierig, welche Erfahrungen ich mit meinen Sinnen heute machen werde...
#1 Boden-Kontakt
Beim morgendlichen Meditieren nehme ich den Boden unter meinen Beinen und meinem Gesäss deutlich wahr. Ich spüre die Auflagefläche und die Sattigkeit des Kontakts. Die Haut meiner Füsse spürt die kuschelige Decke, die sie zudeckt. An meiner Nase nehme ich die Einatem-Züge wahr. Kühl rauscht es bei jedem Einatem an den Nasenlöchern vorbei. Meine Ohren hören das schlurfende Geräusch der Schritte meines Ältesten im Gang vor meinem Zimmer. Ich bin ganz bei mir, aber das monotone Schlurfen holt mich immer wieder davon weg. Das nervt mich.
#2 Dehnender Körper mit Atem gefüllt
Meine Füsse sind in Kontakt mit der weichen Yoga-Matte und sinken leicht ein. Unter meinen Füssen nehme ich eine leicht kühle und etwas rau-poröse Empfindung wahr. Ich atme ein und hebe beide Arme über den Kopf. Der Atem füllt meinen Brustkorb und mit ihm streckt sich der Oberkörper leicht gegen oben. Ein sanft stechender Schmerz in meinem Kreuz erinnert mich daran, langsam vorzugehen und meinem Rücken Zeit zu lassen, sich auf die Bewegung einzulassen, um sich nach der langen Nachtruhe wieder zu entfalten. Ich nehme die Lageveränderungen meines Körpers während den Yoga Übungen bewusst wahr. Wie der Kopf sich mit leichter Wärme und Schwere füllt, wenn ich vornüber gebeugt dastehen oder wie meine Unterschenkel im „Herabschauenden Hund“ zu ziehen und spannen beginnen, bis sie sich an das mehr an (Innen)-Raum gewöhnt haben, welches durch die sanfte Dehnung entsteht.
#3 Schnelle Atemzüge und beissender Geruch
Ich hetze auf den Bus und nehme das zügige Einströmen der Luft durch meine Nase wahr. Mein Herz klopft schnell. Eine Hand hält meinen langen Rock etwas hoch. Ich spüre die seidige Qualität des Stoffes in meiner Handinnenfläche. Allesamt angenehme Empfindungen, bis meine Nase etwas wahrnimmt, was sie mehr und mehr reizt. Eine beissende Empfindung. Zuerst kaum wahrnehmbar, dann immer stärker. Diese Wahrnehmung irritiert. Ich kann sie nicht einordnen, bis… Eine Frau läuft vor mir und raucht…
#4 Schwankender Körper, ausgeliefert den Fahrkünsten des Chauffeurs
Im Bus spürt mein Daumen die glatte Oberfläche des Handys beim Tippen meines Textes. Ich spüre den Boden unter mir nur gerade mit den Zehen. Der Rest der Füsse schwebt im leeren Raum, dafür ist die Unterschenkel Muskulatur angespannt. Der Chauffeur fährt zügig in die Kurven. Mein Körper neigt sich stark dem Sitznachbar entgegen, bevor er sich kurz danach wieder in die Gegenrichtung gedrängt fühlt. Meine Hand ergreift blitzartig die Haltestange vor mir, spürt ihre kühle, glatte Oberfläche. Um die Bewertung vorneweg zu nehmen: "I'm not amused!" Ich spüre, wie sich meine Nacken- und Schultermuskulatur zunehmend mehr anspannt. Zum Schluss nehmen meine Ohren einen langgezogenen, eher hohen Dauerton wahr. Sehr unangenehm. Als ich den Bus verlasse, nehme ich die Stille in meinen Ohren wahr und ich bin erleichtert. Meine Nacken- und Schultermuskulatur ist aber immer noch angespannt.
#5 Wasserduft - Sehnsuchtsduft
Der Duft des Wassers strömt durch meine Nase. Wie habe ich mich darauf gefreut. Kühl, erfrischend, erleichternd. Ich laufe an der Reuss vorbei und über die Spreuerbrücke in Luzern. Nun spüre ich unter meinen Fusssohlen den weichen, leicht nachgebenden Boden der Holzbretter der Brücke. Diese Wahrnehmung steht in krassem Gegensatz zum vorgängigen harten, unnachgiebigen Betonboden. Mein Atem bewegt in zügigem Tempo meinen Brustkorb. Ich bin schnell unterwegs zu einem Termin.
#6 Essen mit fast allen Sinnen - aber wo ist die Nase?
Beim Pizza Zerschneiden hören meine Ohren ein kratzendes Geräusch. Meine Hand nimmt die Oberfläche des Messerhaltegriffs und den Zeigefinger den Druck auf der Messerkante wahr. Meine Auge schauen den sehr weissen und gleichmässig aufgegangenen Boden der glutenfreien Pizza an. Etwas skeptisch. Beim Essen nimmt mein Mundraum verschiedene Oberflächen und Konsistenzen wahr. Ich höre das Knirschen und Knacken beim Kauen des Salats. Beim Essen der Pizza ist es dagegen eher still. Dafür werden mir die Kieferbewegungen und das Zermahlen des Pizzastücks durch die Zähne deutlicher bewusst. Ich bin erstaunt, wie wenig meine Nase von den Essensdüften wahrnimmt.
#7 Getragen und gehalten von der Unterlage
Ich bin bei der Akupunkteurin und liege auf der Behandlungsliege. Meine Fingerspitzen nehmen den etwas rauen Frotteestoff unter sich wahr, der die Liege überzieht. Ich spüre, wie die Akupunkteurin mit einem Wattebausch gewisse Stellen an meinen Beinen und Armen desinfiziert. Diese Berührung hinterlässt ein kühl-feuchtes Gefühl auf der Haut. Dann die spitz-stechende Wahrnehmung meiner Haut, als sie die Nadel platziert. Ich spüre den seidigen, leichten Stoff meines Kleides auf dem Bauch, der sich bei jeder Atembewegung mitbewegt. Mit der Zeit nehme ich ein lösendes, entspannendes Gefühl in meiner Schultermuskulatur wahr. Das Lösen einer Anspannung, welche ich vorher gar nicht bewusst wahrgenommen habe. Ich schwebe eine geraume Zeit lange wie auf der Liege, losgelöst von Alltagsgedanken und doch gut verbunden mit der tragenden Unterlage.
#8 Entführung zur Blumenwiese
Ich sitze auf einer Restaurant-Terrasse und spüre das weiche Sitzkissen unter meinem Po und den weichen, etwas dickeren Stoff der Tischdecke unter meinen Unterarmen. Meine Augen schweifen durch die Umgebung und bleiben eine längere Zeit an der träge dahinfliessenden Reuss hängen. Neben mir steht eine Tasse Tee und der Kräuterduft kitzelt meinen Riechsinn. Er weckt Assoziationen von Leichtigkeit und Frühlingsblumen. Von Zeit zu Zeit streift ein sanfter, kühler Lufthauch die Haut meiner Arme. Die Ohren nehmen verschiedene Gesprächsfetzen aus dem Hintergrund wahr, ohne dass ich etwas genaueres verstehe. Ich bin im Einklang mit mir.
Meine 8SAMMELN-Erkenntnis des Tages
Ich bin erstaunt, wie viel Sinneseindrücke ich heute über die Nase wahrgenommen habe - auch wenn die Pizza keinen bleibenden Eindruck bei meinem Riechsinn hinterlassen hat.
Mein normalerweise bevorzugter Sinneskanal, die Augen, erhält beim heutigen 8sammeln aber gar nicht unbedingt seinen grossen Auftritt. Es sind die sanften, eher bescheidenen Wahrnehmungen der „Tiefensensibilität“, dh der Wahrnehmung des Körpers und seiner Teile, und der Haut, die für mich durch das Beschreiben der 8Sammel-Momenten hervorstechen. Das Beschreiben der Körperwahrnehmungen sind sowohl in der Atemtherapie als auch in der Achtsamkeit wertvolle Elemente, um wieder in die Gegenwart und zu mir zu finden. Ich übe mich dabei, nicht voreilig zu bewerten und Unangenehmes gleich zu behandeln wie das Angenehme.
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Susanne Wagner Atemtherapie (Freitag, 08 September 2023 21:05)
Liebe Eveline, wow! Was für eine wunderbare Reise durch dein Wahrnehmungsuniversum. Das hat mir grosses Vergnügen bereitet beim Lesen. Beim Busfahren vermisse ich auch meistens den Bodenkontakt und gleichzeitig ist der Kontakt zu Mitreisenden jeweils ein bisschen zu eng, nicht selbstgewählt - also Stress. Da sind bei mir beim Lesen auch gleich die Emotionen mitgefahren und ich habe bei #4 von einem Ohr zum andern geschmunzelt über deine «Bewertungs-Vorwegnahme». Vielen Dank für deinen wahrnehmungsstarken Beitrag! ... Was war denn mit der Pizza los? ;)
Silke Hüchel-Steinbach www.vielbegabt.de (Samstag, 09 September 2023 18:19)
Hallo Eveline, was für eine wunderbare Anleitung zur bewussten Wahrnehmung. So was leses ich total gerne.
Herzliche Grüße Silke
Birgit Buchmayer (Sonntag, 10 September 2023 09:45)
Liebe Eveline,
Was für eindrückliche achtsame Momente du beschreibst.
Ich denke von mir, dass ich ein haptischer Typ bin, stelle dann immer wieder fest, dann ich so viel mehr über andere Kanäle wahrnehme.
Und übrigens, den Geruch von Zigaretten und wilde Busfahrten bringen mich auch an meine Grenzen.
Ganz liebe Grüße, Birgit